Kleider machen Leute

Vor zwei Wochen traf ich mich das erste Mal bewusst mit einer Dame, die ebenso an MS erkrankt ist. Sie wollte mir bei einigen Anträgen helfen. Ich war zu spät dran und lief eilig die Bahnhofstraße entlang. Es war um die Mittagszeit. Geschäftsleute kamen mir entgegen. Ich freute mich auf das Treffen, war beschwingt und trug russische Ankle Boots (die geschenkten Schuhe meiner Freundin und Nachbarin) die schön klackern, die hautenege schwarze Hose von H&M für 14 Euro, den schwarzen Teddymantel von vor 15 Jahren, blutrote Lippen und tiefschwarze Augen. Da sprach mich ein junger, zahnloser Mann an, es ging ihm offensichtlich um Geld. Er sagte: „Wunderschöne Frau, darf ich sie kurz um ihre Aufmersamkeit bitten? Sie sehen aus, als hätten sie sehr viel Geld!“ Ich schüttelte verwirrt den Kopf, musste plötzlich laut lachen. In meinem Kopf war Krankengeld, Antrag auf Kinderzuschlag, Wohngeld, Die Tafeln, Teilberentung – das Rundumpaket aller Antragsformulare, die ich dabei hatte. Ich sagte: „Ich? Ganz genau, ich habe viel Geld. Genau ich!“ Er rief mir hinterher: „Wer sich so kleiden kann, MUSS viel Geld haben. Das sieht man!“

Paul Watzlawick stellte fest, dass der Deutung und Glaubhaftigkeit nichtsprachlicher Zeichen mehr Bedeutung zugeschrieben werden als der sprachlichen Information selbst. Er hatte recht 😀